Wer an Bauhaus denkt, kommt um unsere Nachbarstadt Weimar wohl nicht drumherum, doch auch in Erfurt sind die Impulse und Einflüsse der modernen Kunst-, Architektur- und Designrichtung auch heute noch deutlich zu spüren. Denn auch die Erfurter hießen das „neue Bauen“, geprägt von Fortschrittsoptimums und Geschäftigkeit, Mitte der 1920er gerne willkommen. Typisch für das Bauhaus: Reduzierte Gebäudeformen ohne Bauzier, Flachdächer und große Glas-Stahl-Fassaden. Wer achtsam durch Erfurt spaziert, kann sie nach all den Jahren noch immer entdecken; die Relikte der Bauhaus-Zeit versteckt zwischen den schnörkeligen und reich verzierten Fassadenhäusern der Gründerzeit.
Du fragst dich wo? Wir helfen dir etwas auf die Sprünge:
1. Das DHV-Haus am Anger
Anger 81, 99084 Erfurt

Heute Bastel- und Kreativmarkt, früher das Haus des deutschen Handlungsgehilfen-Verbandes. Bei dem schönen Eckgebäude am Anger handelt es sich nicht nur um ein Bauwerk im Bauhausstil, sondern auch um das älteste Hochhaus Erfurts. Im Jahr 1929, zum Zeitpunkt der Erbauung, überschritt es mit seinen sechs Etagen und einer Gesamthöhe von 21 Metern die damalige Bauordnung um drei Meter. Kaum zu glauben, wenn man heute, nur ein Stück weiter, auf die hohen Gebäudekomplexe am Juri-Gagarin-Ring blickt. Der stromlinienförmig gerundete Baukörper bietet eine einzigartige Silhouette. Dank seiner beeindruckenden Fensterfronten brachte das DHV-Haus eine für damals angestrebte Reklamewirkung in das nächtliche Straßenbild Erfurts. Diese ließ die Gebäude nachts um einiges moderner wirken, als am Tage.
2. Das Geschäftshaus Schellhorn
Neuwerkstraße 2, 99084 Erfurt

Heinrich Herrling, Architekt des DHV-Hauses, gestaltete neben diesem noch ein weiteres Bauwerk in Erfurt – und die Ähnlichkeit dieser beiden Gebäude ist wirklich kaum zu übersehen. Im Anschluss an seinen ersten Bauauftrag, bekam er im Jahr 1930 vom Textil-Einzelhändler Hermann Schellhorn die Aufgabe, ein weiteres Geschäftshaus zu gestalten. Dieses zeigt sich in Anlehnung an seinen Vorgänger ebenfalls mit einer abgerundeten Gebäudekante, markanten horizontalen Fensterbänken und beeindruckender Lichtarchitektur mit modernem Touch. Am besten kommt sie nachts zur Geltung! Achte unbedingt mal bei deinem nächsten Second-Hand-Bummel durch die Stadt drauf, heute befindet sich hier nämlich das ReSales.
3. Das Margaretha-Reichardt-Haus
Am Kirchberg 32, 99094 Erfurt
Das Wohn- und Weberhaus der 1907 in Erfurt geborenen Bauhauskünstlerin ist heute eine Außenstelle des Angermuseums. Errichtet wurde es 1939 bei Bischleben, nach den Entwürfen des Bauhäuslers Konrad Püschel und der persönlichen Vorstellung von Margaretha Reichardt. Hier erfahren Interessierte mehr über das Leben und Schaffen der Künstlerin. So ist das Haus der Handwebmeisterin nach wie vor mit original Bauhaus-Webstühlen ausgestattet und bietet eine vollständige Weberwerkstatt, Wohnräume und einen wunderschönen Garten zur Besichtigung. Seit 1987 ist das Gebäude ein technisches Denkmal und steht damit unter Denkmalschutz. Wer Lust hat mehr über die renommierte Künstlerin zu erfahren, kann sich zu einer Führung durch das Museum anmelden. Mit etwas Glück und gutem Timing kannst du dabei sogar einer Webkunst-Vorführungen von Handwebmeisterin Christine Leister beiwohnen.
4. Erfurts Wohnviertel
Auch die in den 1930ern errichteten Wohnviertel im Nordosten der Stadt repräsentieren die Ideen des Bauhauses und dessen Künstler:innen bis heute; die Architektur im Hanseviertel ist ein besonderes Beispiel für den sozialen Wohnungsbau des „neuen Bauens“ in Erfurt. So fassen der Hansa-Block, Hamburg-Block und Flensburger-Block bis zu 200 Mietwohnungen und sind architektonisch einheitlich gestaltet – die Bauhäusler waren damit Vorreiter des funktionalen Bauens. Zwar wurde zum Beispiel der Hansa-Block 2017 einer umfassenden Sanierung unterzogen, was jedoch geblieben ist, sind die Original-Eingangstüren aus dem Baujahr 1930 und die knalligen Fassadenfarben im Bauhausstil!
5. Die Sparkasse am Anger
Anger 25 & 26, 99084 Erfurt

Das Sparkassengebäude am Anger und sein Geschwistergebäude direkt nebenan, bilden inmitten der belebten Erfurter Innenstadt einen wundervollen Kontrast zum übrigen Stadtbild. 1927 (im Auftrag von Alfred Hess, ein Bewunderer und Verteidiger des Bauhauses) und 1929 sind diese beiden Geschäftsgebäude entstanden. So setzen die beiden Bauten schon damals ein unübersehbares Zeichen für avantgardistisches Bauen in Erfurt. Besonders das Sparkassengebäude als großzügiger Bankenbau mit geräumiger Schalterhalle gilt noch heute als eines der bedeutendsten Bauten der klassischen Moderne in Erfurt. Sind dir diese beiden Gebäude schon mal ins Auge gestochen?
Du willst noch mehr Bauhaus in Erfurt entdecken? Ein paar Gebäude wüssten wir da noch:
- Die „Villa Kunterbunt“ in der Puschkinstraße zum Beispiel. Diese wurde 1924 erbaut und war ehemals Teil des katholischen Krankenhauses. Mittlerweile steht das Gebäude unter Denkmalschutz und wurde mehrfach saniert. Die ursprüngliche Farbgestaltung, welche auf einen Erfurter Architekten des „neuen Bauens“ zurückgeht, ist mittlerweile sogar wiederhergestellt und der Grund, warum das Wohnquartier im Volksmund den Namen „Villa Kunterbunt“ trägt.
- Auch das Wohnhaus des Direktors des städtischen Museums Walter Kaesbach ist sehenswert. Es wurde nach Entwürfen des Erfurter Architekten des „neuen Bauens“ Karl Meinhardt gestaltet und soll Lyonel Feininger, wohl einem der berühmtesten Bauhauskünstler:innen, einige Jahre als Gast Quartier gedient haben.
- Auch das AOK-Verwaltungsgebäude in der Augustinerstraße ist Teil der beeindruckenden Beispiele für den damals florierenden Baustil. Halt die Augen offen!
Text und Fotos: Niki Dallgas