Wie der eine oder andere vielleicht schon mal mitbekommen hat, komme ich aus Eisenach. Und wenn ein Projekt aus dem provinziellen Eisenach ins kosmopolite Erfurt überschwappt, dann sehe ich es geradezu als meine Pflicht an, darüber zu berichten – ist doch klar.
Seit ein paar Wochen kann sich die Stadt über einen neuen Veranstaltungskalender freuen: Das Kulturcarré. Ich habe mich mit den beiden Machern Henning und Michael auf ein Käffchen und eine Tasse Tee getroffen und ein bisschen über ihr Projekt geplaudert.
Was ist das Kulturcarré und wer steckt dahinter?
Die Geschichte vom Kulturcarré begann bereits 2011 in Eisenach. Damals dachten sich Programmierer Henning und Michael, der sich charmant selbst als die „linke Gehirnhälfte“ des Projektes bezeichnet, dass es an der Zeit ist, die Kulturszene der Stadt sichtbarer zu machen. Also setzten sie sich hin und erschufen eine kleinen Plattform.
Mich interessiert, warum es sieben Jahre gedauert hat, bis das Kulturcarré schließlich nach Erfurt (und auch Weimar) kam. Die Antwort der Eisenacher, die mittlerweile in Erfurt und Leipzig leben: „Weil wir die Dinge gern richtig machen und uns Zeit lassen.“ Ziemlich bemerkenswert, wenn man sich einmal vor Augen führt, wie schnelllebig die Zeit um uns herum doch ist, oder?
Auch auf meine nächste Frage – was denn genau das Kulturcarré sei – bekomme ich eine Rückmeldung, die sitzt: „Das Kulturcarré ist der beste Veranstaltungskalender der Welt!“ Aha, okay… weil….? „Weil er übersichtlich und auf das Wesentliche reduziert ist“, so die überzeugte Aussage von Henning und Michael.
Und tatsächlich: Schaut man sich auf der Seite vom Kulturcarré um, findet man im Grunde genommen nur eines: Events, Events und noch mehr Events – aktuell in Erfurt, Eisenach und Weimar. Weitere Städte sollen folgen.
Eine andere Besonderheit vom Kulturcarré ist der bewusste Verzicht auf irgendwelche Filter und Algorithmen. Dazu heißt es auf der Facebook-Seite des Veranstaltungskalenders:
„Das Kulturcarré ist ein Gegenentwurf zu den reichweitenoptimierten Algorithmen sozialer Netzwerke.
Unsere Dividenden sind Kultur, Abwechslung und Gemeinsinn. Nichts was sich rechnet, aber alles was zählt!“
Oder mit anderen Worten: Komm raus aus deiner Filterblase und rein ins Kulturcarré! Hier gibt es eine Menge zu entdecken.
Die Erfurter Kultur-Szene
Dass Michael und Henning mit Leidenschaft bei der Sache sind, erfahre ich spätestens, als ich unser Gespräch hin zur Erfurter Kulturszene lenke. Denn ab dann berichtet Michael, der übrigens im gleichen Abi-Jahrgang wie ich, aber am „verfeindeten“ Gymnasium war – glühend über diverse Veranstaltungsformaten. Wie beispielsweise die Sportacoustique, einer Mischung aus Tischtennis, Tanzen und Bier trinken, die jeden Donnerstag in den Kalif Storch einlädt oder die Bachwochen, die klassische Musik mit dem industriellen Charme des Zughafens vereint haben.
Metropol-Region Thüringen?!
Noch mehr Freude habe ich jedoch an einem Ansatz, über den ich mit Michael schon zu einem früheren Zeitpunkt gesprochen habe und den wir im Gespräch zu dritt noch einmal vertiefen konnten.
Die beiden finden es nämlich ziemlich schade und regelrecht beleidigend, das Thüringen oftmals pauschal als Provinz abgetan wird. Das mag zu einem großen Teil am mangelnden Selbstbewusstsein der Thüringer liegen, aber auch an der Annahme, dass hier sowieso nichts los sei.
Das Problem betrifft Eisenacher ebenso wie Erfurter, weiß Michael. „Leute in Erfurt sagen zwar nicht, dass hier nichts los ist – weil die Stadt so groß ist. Aber sie denken es.“ (Erwischt.) Und Henning fügt hinzu: „Man lebt hier ein bisschen wie im Auenland, aber das heißt nicht, dass hier nichts geht.“
Die beiden gehen sogar noch einen Schritt weiter und vergleichen Thüringen mit einem Metropolgebiet. Es gibt hier viele recht große Städte auf engem Raum, die durch Autobahnen und Zugstrecken gut miteinander vernetzt sind. Warum nicht also einfach mal über den Tellerrand schauen und auschecken, was am Abend so in anderen Städten los ist?
Genau das ist die Vision von Michael und Henning. Sie wollen es mit dem Kulturcarré schaffen, die kulturelle Landschaft Thüringens an einem (digitalen) Ort zu vereinen und zu veranschaulichen. Das würde nicht nur das Identifikationsgefühl der Menschen hier stärken und die allgemeine Lebensqualität steigern, sondern auch auch eine touristische Strahlkraft nach außen mit sich bringen.
Mal schauen, was die Zukunft bringt…
Ich meine, zwischen den Zeilen gelesen zu haben, dass die beiden Kulturcarré-Macher noch einiges vorhaben und zukünftig auch nicht davor zurückschrecken werden, sich mit den „Großen“ an einen Tisch zu setzen. Ein Punkt, der beispielsweise ganz oben auf Michaels Wunschliste steht, ist der Einsatz von mehr Zügen in der Nacht.
Jeder, der schon mal mit dem letzten Zug vom Weimarer Zwiebelmarkt zurück nach Erfurt gefahren ist, wird ihm in dieser Sache definitiv zustimmen.
Das Kulturcarré im Netz
Liebste Grüße,
Jessi
Fotos: Jessika Fichtel | Feels like Erfurt