„Erfurt die Verwandlung“: Mit Buch in der Hand die spannende Wendezeit erleben

Bild zeigt Frau mit Buch bei einer Statdführung in Erfurt
Inhaltsübersicht

Wer heute durch die Innenstadt von Erfurt läuft, findet sich in einer bunten Kulisse aus farbenfrohen Fassaden historischer Häuser wieder. Doch es ist noch gar nicht lange her, dass große Teile dessen, was heute den Charme der Domstadt ausmacht, dem Verfall preisgegeben war. Zum Zeitpunkt der politischen Wende vor 30 Jahren prägte nicht das romantisch-bunte Potpourri aus liebevoll instand gehaltenen Fassaden das Bild der historischen Altstadt, sondern leere Gebäude, die mehr oder weniger zerfallen ein ungeliebtes Dasein fristeten. Das Buch „Erfurt die Verwandlung“ ruft mit anschaulichen Bildern in Erinnerung, wie sehr sich die Stadt in nur drei Jahrzehnten verändert hat und lädt mit einer zugehörigen Stadtführung zum Entdecken und Innehalten ein – klar, dass ich mir beides auf jeden Fall anschauen musste.

Bild zeigt Buch: Erfurt die Verwandlug vor altem Gebäude

Erfurt entdecken mit Buch und Stadtführung

Nur wenige Tage, nachdem mein Beitrag Drei Bücher, um Erfurt (neu) zu entdecken online ging, erschien mit „Erfurt die Verwandlung“ ein neues Buch, dass ebenfalls perfekt unter dieses Motto passt. Denn zwischen den Deckeln des leuchtend gelben Stoffeinbandes hat Autorin Melanie Thurm für 27 Orte in Erfurt jeweils Bilder von heute und aus der Zeit um 1990 gegenübergestellt. Das Praktische daran: Die verschiedenen Plätze lassen sich entlang eines Rundgangs entdecken, der ganz vorn im Buch abgebildet ist. Eine sehr gute Idee, wenn ihr mich fragt, denn schließlich geht es bei diesem Rundgang nicht (nur) darum, die Schönheit Erfurts zu bewundern, sondern vor allem, die zum Teil wirklich unglaublichen Unterschiede von Gebäuden und Straßenzügen wahrzunehmen.

Bild zeigt die Autorin vin Erfurt die Verwandlung mit Buch
Erfurt: Das Buch „Erfurt die Verwandlung“ von NUBU am 10. September 2020 in Erfurt. Melanie Thurm mit einem der Bücher in einem Trabant. Foto: Jacob Schröter

Dabei helfen die historischen Fotos, die Melanie Thurm in aufwendiger Recherchearbeit zusammengestellt hat – ein Prozess, der so manche Hürde bereithielt: „Die Idee war zu Anfang, mit Fotografen und privaten Bildern zu arbeiten. Das erwies sich als so schwierig, dass wir uns nach zwei Jahren des Versuchens auf das Bildmaterial des Stadtarchivs konzentriert haben“, verrät die Erfurterin zur Entstehung des Buches. Auf das Finden geeigneter Fotos folgte dann noch die digitale Nachbearbeitung und das Zuordnen der jeweiligen Orte im heutigen Erfurt. Keine einfache Angelegenheit, da die Archivbilder nur selten mit Angaben zum Aufnahmeort ausgestattet waren. Und schließlich mussten dann noch die aktuellen Fotos aus dem gleichen Blickwinkel geschossen werden. Insgesamt vergingen so von der Idee bis zum fertigen Buch etwa acht Jahre, in denen sich Melanie Thurm neben ihrem beruflichen Alltag dieser „Herzensangelegenheit“ gewidmet hat.

Ein Erfurt-Bildband mit persönlicher Note

Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn allein schon von der grafischen Aufmachung sticht „Erfurt die Verwandlung“ heraus. Und auch im Inhalt hat Melanie Thurm dafür gesorgt, dass sich das Buch von den klassischen Bildbänden abhebt, indem sie persönliche Erinnerungen, Zeitzeugenberichte und Empfehlungen für Cafés, Restaurants und Geschäfte einfließen lassen hat. Und so spiegelt das Buch keine unbeteiligte Sicht von außen auf Erfurt, sondern ist spürbar verwoben mit Melanie Thurm und ihrer Lebensgeschichte. Als Kind in den Siebziger- und Achtzigerjahren waren die alten, leerstehenden Häuser für die Erfurterin noch eine Art Abenteuerspielplatz. Als sie dann 2010 nach längerer Abwesenheit in ihre Heimatstadt zurückkehrte, bot die Altstadt plötzlich ein ganz anderes Bild: „Die früher so tristen Häuserfassaden, teilweise nur von stützenden Balken zusammengehalten und die Dächer mit Planen statt Dachziegeln abgedeckt, waren inzwischen fein herausgeputzt, saniert und bunt angemalt.“

Andreasvorstadt: Vor dem Abriss gerettet

Entlang der Michaelisstraße in Richtung Andreasvorstadt sehen wir bei der Stadtführung zum Buch jede Menge der besagten bunt angemalten Fassaden. Und erfahren dabei, wie wenig selbstverständlich es ist, dass uns diese in der Oktobersonne anstrahlen können. In DDR-Tagen seien hier Dachdecker engagiert worden – nicht etwa, um die Häuser intstandzuhalten, sondern um die Dächer abzudecken, so den Verfall zu beschleunigen und schließlich den Abriss zu erleichtern. Unglaublich ist die Vorstellung, dass es tatsächlich Pläne gegeben haben soll, durch das Andreasviertel eine vierspurige Straße zu bauen. Verhindert werden konnte der drohende Abriss unter anderem durch engagierte Bürger:innen, die die Gebäude mit einer Menschenkette schützten. Trotzdem konnten letztendlich nicht alle Häuser erhalten werden, zu weit fortgeschritten war der Verfall zum Teil. Die so entstandenen Lücken wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit Neubauten geschlossen, wodurch sich in manchen Straßen ein interessanter Kontrast aus Alt und Neu ergibt. Dieser manchmal auch kontrovers diskutierte Mix ist zum Beispiel in der Pergamentergasse, in der auch Melanie Thurms Agentur „Das schwarze Schaf“ ihren Sitz hat, anschaulich zu sehen.

Zeigt Buch: Erfurt die Verwandlung und ein glebes Haus in der Andreasvorstadt

Ein Buch, das unterwegs sein will

„Erfurt die Verwandlung“ ist auch deshalb kein gewöhnlicher Bildband, weil das Buch das erste „NUBU“ ist. Das Kürzel steht für den Begriff „Nutzbuch“ und drückt damit aus, was sich Melanie Thurm für ihre Produkte wünscht: „Die Bücher sollen vor allem benutzt werden, nicht nur einmal durchgeblättert und dann in das Buchregal gestellt. Deswegen die Kombination aus Bildband, Stadtrundgang, Empfehlungen und Raum für eigene Notizen.“ Um eigene Gedanken jederzeit festhalten zu können, ist das Buch deshalb auch mit einem praktischem Stifthalter ausgestattet. Im gleichen Stil gibt es seit Kurzem von „NUBU“ auch farbenfrohe Notizbücher. Und eine Fortsetzung von „Erfurt die Verwandlung“ ist auch schon geplant. Ihr dürft euch also auf was freuen!

Zeigt gelbes Buch: Erfurt die Verwandlung und dazugehörige Karten für eine Stadtführung

Erinnerungen an Erfurt als „Geisterstadt“ bewahren

„Das Buch ist der Versuch, dem Vergessen entgegenzuwirken, Geschichte und die Erinnerung an die damalige ,Geisterstadt´bewahren“, sagt Melanie Thurm über „Erfurt die Verwandlung“. Für mich bleibt nach dem Stadtrundgang und dem Anschauen des Buches auch ein Gefühl der Wertschätzung zurück: für die Schönheit der Stadt, die wir täglich genießen können, und dafür dass das nicht selbstverständlich ist. Für die engagierten Menschen, die sich dafür einsetzten und für die tolle Arbeit von Melanie Thurm, die mit ihre Buch all das sichtbar macht.

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4 Antworten

  1. Das Buch „Erfurt – Die Verwandlung“ habe ich zunächst mit Interesse zur Hand genommen, jedoch nach erstem Durchblättern fällt auf, daß es leider einer bekannten Linie folgt, nämlich für (fast) alles was vor 1989 einzuordnen ist, nur Schwarz-Weiß(SW)-Fotografien zu verwenden oder als SW darzustellen.
    Damit soll doch nicht etwa unterschwellig suggeriert werden, daß damals alles besonders trostlos, trist und grau war? Ich hätte es als wohltuend empfunden, wenn auch (Farb-) Aufnahmen der Teile der Innenstadt dabei wären, die in den 70er Jahren saniert wurden. Die (damals) neuen Gaststätten, Hochbeete am Anger waren nach 1989 bald verschwunden, um später dann (nach Bürger-Beschwerden) durch Pflanzkübel ersetzt zu werden.
    Auch wenn es 1980 schlimme Ecken gab, sollten auch andere Entwicklungen nicht unterschlagen werden, eben die groß angelegte Sanierung der Innenstadt in den 70er Jahren, besonders auch Hirschgarten ehem. Regenbogengasse. Es gab auch schon in wesentlich früheren Jahren vor 1989 Farbaufnahmen, auch von Erfurt (vergl. hierzu u.a. F. Palmowski, „Erfurt in Farbe, 70ger und 80er
    Jahre“).
    Bezeichnend dazu finde ich beispielsweise das SW-Bild von der Krämerbrücke von 1980, daneben das Farbbild von 1990, wo z.T. die gleichen Details (Laternen) zu sehen sind. Schon erstaunlich, daß von Ende 1989 bis Anfang 1990 plötzlich Farbaufnahmen auftauchen und Sanierungen (neues Straßenpflaster der 80ger) sozusagen über Nacht stattgefunden hatten.
    Seriöse Aufarbeitung sieht m.E. anders aus, was möglicherweise aber nicht die Intention war. Das Buch mag ja für eine andere Leserschaft als die „alten“ Erfurter bestimmt sein.
    Dieses Werk erscheint mir daher eher geeignet, bestimmte Klischees zu bedienen oder an die jüngeren Generationen vermitteln zu wollen. Schade.

    1. Vielen Dank! Manchmal ist es wirklich gut sich an die Vergangenheit zu erinnern, um das zu schätzen, was man jetzt hat.

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