Ich bin ein großer Fan von Streetart (haha, die Autokorrektur macht daraus ‚Streitaxt‘). Kunst, die – egal in welcher Form – im urbanen Umfeld zu finden ist, hat in meinen Augen etwas Faszinierendes, etwas, was dafür sorgt, dass wir für einen Moment innehalten und aufmerksam beobachten, was sich vor unseren Augen abspielt. Und noch etwas: Streetart ist modern. Graffiti statt Galerie. Laternenmasten statt Leinwand. Bauten statt Bilderrahmen. Es ist eine neue Form der Kunst, die sich immer weiterentwickelt und stetig neue Züge ausprägt.
So auch in Erfurt. Wenn du aufmerksam durch die Straßen der Stadt läufst, findest du überall verschiedene Streetart-Projekte – vom Mural Art über Guerilla Knitting bis hin zu auffällig bepflanzten Blumenkästen, die in meinen Augen auch eine Ausprägung von Kunst sind.
Am meisten sind hier natürlich (wie warscheinlich überall sonst auf der Welt auch) Graffiti vertreten. In Erfurt gibt es davon drei Arten:
#1 Die, die so richtig, richtig gut sind


#2 Die, die uns für einen Moment innehalten lassen


#3 Die, die einfach nur kacke sind

Jetzt rate mal, welche Sorte in Erfurt am häufigsten vertreten ist…
Mich in dieser Kolumne über misslungene Graffiti und Schmierereien aufzuregen, ist natürlich sinnlose Zeitverschwendung. Ich möchte an dieser Stelle eigentlich nur eine Frage in den Raum werfen: Was haben sich die Künstler dabei gedacht? Irgendein Ziel, irgendeine Motivation müssen sie doch gehabt haben, oder? Vielleicht: „Unsere Stadt soll hässlicher werden!“ oder „Hmm… eine ziemlich langweilige Wand… ach, lass da mal irgendetwas Dummes drauf schmieren.“
Einen Höhepunkt der Sinnlosigkeit erreichte die Erfurter Streetart, als die Sandmann-Figur im Frühjahr 2016 hinter die Krämerbrücke zog und dort mehrfach von Unbekannten „geschminkt“ wurde. Ich weiß, dass das nicht jeder skandalös fand. Einige hat der fies dreinschauende oder der masern-geplagte Sandmann sicher sogar zum Schmunzeln gebracht. Ich jedoch habe wieder einmal nur nach dem „Warum?“ gefragt. Sollte es tatsächlich Kunst sein? Ein Ausdruck des Protestes? Humor? Oder war es doch nur einfach die Langeweile, die die Malermeister dazu animierte, den Edding zu schwingen? Ich wüsste es wirklich gern und freue mich über jeden Erklärungsversuch :)

Eine ganze Homepage voller Erfurter Streetart
Ich bin schon im vorigen Jahr während meiner Recherche zu den Urban Knittings auf die Homepage www.erfurterstreetart.wordpress.com gestoßen und habe mich gefreut, dass die Seitenbetreiberin noch immer aktiv ist. Der Blog ist eine schier unendliche Bilder-Sammlung, die die Streetart in Erfurt akribisch dokumentiert. Zwischen vielen „Naja, geht so“-Fotos findest du auch immer wieder kleinere und größere Perlen, die eindrucksvoll zeigen, wie vielseitig urbane Kunst ist (und wie verschwommen die Grenzen!). Richtig nice ist außerdem, dass die „Erfurterstreetart“ nun auch einen eigenen Instagram-Account hat. Auffällig: Betreiberin Susanne scheint nicht nur ein Faible für Streetart, sondern auch eins für (alte) Autos zu haben. Schau doch einfach mal vorbei und lass dir Erfurt von ihr zeigen.
Ich für meinen Teil wünsche mir einfach, dass die Streetart in Erfurt noch ein bisschen mehr Sinnhaftigkeit und vor allen Dingen Raum bekommt. Mir ist total klar, dass ich mit dieser Kolumne nichts gegen die zahlreichen Graffiti unternehmen kann und es in Zukunft immer wieder Menschen geben wird, die die Sprühdose schütteln, sobald sie eine jungfräuliche Wand entdecken. Falls du einer davon bist, frage dich aber bitte wenigstens, ob das, was du da sprayst, Kunst ist oder einfach nur weg kann.
Liebste Grüße,
Jessi
Bilder (bis auf eines): © Jessika Fichtel | Feels like Erfurt