2020 – Lockdown in Erfurt, Frühjahr und schönes Wetter spürbar nah, aber plötzlich auch das schlechte Gewissen rauszugehen. Zuhause bleiben kann so schön sein, doch ohne Balkon wird’s in den eigenen vier Wänden dann doch schnell mal beengend. Visionen rund um einen Kleingarten in Erfurt schienen mir bis dahin sehr utopisch, unter diesen Umständen eigentlich fast nur noch mehr. Genauer: ich hatte eigentlich gar keine Vorstellung davon, ob man dafür die eigene Seele verkaufen muss oder quasi eine zweite Miete hinlegt, geschweige denn davon, wo und unter welchen Bedingungen es annähernd möglich sei. Noch dazu passt das Bild von zwei Studierenden nicht ganz ins Klischee von typischen Kleingarten-Kolonien. Spoiler vorab: oh doch, und ich würde mir noch viel mehr Generationsmix wünschen!
Der Wunsch von eigenem Grün entstand
Ich hab quasi meine halbe Kindheit im Kleingarten meiner Großeltern verbracht, Erdbeeren vom Beet gepflückt, Mittagsschlaf in der Sonne gemacht, Kuchen gegessen, Karten gespielt und meine damalige Lieblingspflanze – das tränende Herz – sehr geliebt (erst kürzlich als Zeichen identifiziert, dass mir mein Garten auch ungefragt ein Exemplar geschenkt hat!). Selbstangebautes Gemüse von der Oma schmeckt eh am besten (tut es auch noch)! Es war letztendlich auch sie, die mir den entscheidenden Anstoß gegeben hat. Ich erzählte ihr von meiner Idee, sie entgegnete: „Na, macht doch einfach!“ und räumte Skepsis über Unsummen an Fixkosten schnell aus dem Weg geräumt, die belaufen sich in der Regel auf um die 100 € im Jahr – da hab ich definitiv schon für schlechtere Dinge regelmäßig Geld ausgegeben. Budget-intensiv kann so eine Angelegenheit natürlich nichtsdestotrotz werden, aber dazu gerne im Detail später mehr, wenn ihr mögt. Kurz gesagt: man sollte schon bereit sein, eine gewisse Ablöse zahlen zu wollen, vor allem in Zeiten wie diesen (ist einfach so, und nicht immer fair). Von 0 bis 17,000 € hab ich schon alles gesehen.
Wenn sich mein Kopf mit wohlig warmen Gedanken und Vorstellungen immer wieder um eine Sache dreht, weiß ich irgendwann: es ist richtig. Skepsis brachte ich allen voran dahingehend mit, dass eine Suche, wie eingangs erwähnt, gewiss ziemlich tricky werden könnte. Prinzipiell würde ich empfehlen, direkt auf Vereine von Kleingärten zuzugehen, ohne sich von Wartelisten abschrecken zu lassen. Ansonsten geht auch viel über Beziehungen, Vorbesitzer haben natürlich auch ein Wörtchen mitzureden und Verein ist nicht gleich Verein, was Prioritäten und Wartelisten-Utopie angeht.
Wie wir unseren Kleingarten in Erfurt fanden
Wir hatten letztendlich einfach nur Glück, ziemlich viel sogar. Nachdem die Suche über Kleinanzeigen (würde ich nicht empfehlen!) wahnsinnig ernüchternd war, und Spaziergänge durch Anlagen auch nicht danach aussahen, als sei irgendwo was frei (heißt letztendlich gar nichts) und wir ebenso nicht bereit waren, Unsummen zu bezahlen, verließ mich der Mut, noch im gleichen Jahr was zu finden. Gibt Schlimmeres, ab Übernahme ist es ohnehin ein langwieriger Prozess – aber das Bedürfnis war doch ganz schön groß. Was macht man also, wenn eine relativ breite Zielgruppe im Raum Erfurt über Instagram bedient wird: verzweifelt nachfragen. Und siehe da, auf meinen „vielleicht kennt jemanden, der oder die jemanden kennt …“ Story-Slide meldeten sich, neben anderen lieben Tipps, zwei Gartenbesitzer:innen, die ihren Kleingarten in Erfurt schweren Herzens weitergeben wollten.
Somit besichtigten und verliebten wir uns in beide, Lage und Zustand hätten unterschiedlicher nicht sein können. Super zentral vs. ländlich gelegen, in einem ziemlich guten Zustand vs. Baustelle ala Fixer-Upper-Projekt samt Dschungel. Das Gefühl stimmte jeweils, prinzipiell waren wir ohnehin sehr auf dem „Wir nehmen, was wir kriegen“-Trichter. Kann ich nur empfehlen, wenn die Übernahme stimmt (ein fairer Preis wird ohnehin über Gutachten eingeschätzt) und dem Umstand entsprechend viele Nerven reingesteckt werden können. Seid euch einfach dessen bewusst, was ihr wollt und was nicht; das Können kommt mit dem Machen und Ausprobieren. Vielleicht ahnt ihr schon, worauf das hinausläuft: wir wählten das Fixer-Upper-Projekt.
Das Herz schlug ein bisschen höher, weil alles nach Selbstverwirklichung schrie. Vielleicht auch, weil wir zu dem Zeitpunkt abends immer Fixer Upper Folgen bingten, und ein bisschen #demoday wie ein guter Ausgleich zum Schreibtisch-Dasein schien. Klingt jetzt naiv, aber tatsächlich stellten wir uns ein bisschen mehr Baustelle und Herausforderung vor, als der erste Garten versprach. Bereuen wir es? Keine Sekunde. Aber uns ist durchaus bewusst, dass wir mit der Zeit, die wir im vergangenen Jahr unfreiwillig mehr Zuhause verbringen durften, im anderen Garten unsere baulichen Vorstellungen wohl schon so gut wie umgesetzt hätten. Stattdessen arbeiten wir uns durch Dschungel-Beete, einen überwucherten Gemüse-Acker, Himbeerhecken, Bauschutt und eine über 30 Jahre alte Laube samt ähnlich altem Inhalt.
Ausgleich: oh ja! Dabei haben wir bisher noch nicht mal eine Mauer oder Wände in der Laube eingerissen.
Warum dann dieser Garten? Und vor allem: woher kommt das Erfurt-Gefühl?
Das hängt zum Großteil unzertrennlich zusammen, wie es sich mit der Zeit zunehmend bestätigte. Aber zuerst ein paar Ambitionen, die uns zu diesem riesigen Projekt bewegten – ohne konkrete praktische Erfahrung, dafür aber mit ganz viel Wollen, Leidenschaft und Wissensdurst, sowohl baulich als auch gärtnerisch. Ich persönlich sehe in Herausforderungen wahnsinnig viel Potential. Wie der Vorbesitzer zur Besichtigung so schön sagte: man kann sich definitiv ordentlich austoben ohne Angst haben zu müssen, viel kaputt zu machen. Klingt sehr grob, aber der Zustand gab und gibt es tatsächlich her, wenn auch hier und da das Vermächtnis-Gewissen weint.
Die Struktur, geprägt durch Hang-Terrassen, ist ziemlich besonders und macht es einem leicht, gewisse räumliche Abgrenzungen zu ziehen. Gute Grundstruktur und genug Entfaltungsmöglichkeiten die wir uns eh vorstellten also, aber das Bauchgefühl entschied auch ein Stück weit nach dem, was der erste einnehmende Eindruck beim ersten Betreten war: die Aussicht!
Raus aus der Stadt & Dom dennoch in Sichtweite
Über das nördliche Erfurt und zig Baumkronen von der Terrasse aus, mit Stadtlichter-Romantik am Abend und Panorama-Wetterblick am Tag. Daran könnte ich mich nie sattsehen! Umgeben von ländlicher Ruhe, Bienensummen und Schaf Geblöke, Obstbäumen und dennoch den Dom vom Hügel aus immer in Sichtweite. Erfurt kann auch außerhalb der städtischen Infrastruktur so schön sein, ich sag’s euch!
Was Erfurt ebenso sein kann, so sehr ich unsere wunderschöne Stadt auch liebe: ziemlich klein, gefühlt. Manchmal auch ziemlich voll. Ich bin zwar jeden Tag dafür dankbar, in so einer angenehmen Stadt zu wohnen und mich direkt in der Altstadt zu befinden, wenn ich das Haus verlasse, doch ab und zu braucht es einfach andere Reize. Nicht, dass ich mich jemals am monumentalem Anblick von Altstadtbauten sattsehen könnte, aber es gibt Tage, da kommen Krämerbrücke und Dom gefühlt immer näher. Und die eigenen Wände sowieso.
In Erfurt draußen zuhause sein
Vielleicht geht es euch ähnlich wie mir: freie Entfaltung ist für mich ein wichtiges Lebensgefühl. Sobald es warm genug ist, verbringe ich am liebsten den gesamten Tag draußen, was in Erfurt natürlich ziemlich fantastisch möglich ist, egal ob Innenstadt, in Parks oder außerhalb. Nichtsdestotrotz fehlte mir einfach ein Ort, an dem ich mich so richtig entfalten kann, mich draußen zuhause fühle. Ein kühles Getränk im Sommer nie weit, ein fester ungestörter Lern- & Leseplatz in verschiedenen Ausführungen vorhanden. Rauskommen und es so auch fühlen, ohne weit wegzufahren. Ein Ort, an dem ich gleichermaßen anpacken und genießen kann, in vielen Facetten. Eine ersehnte Ergänzung zu unserer geliebten Wohnung, die mir im vergangenen Jahr oft genug leidtat, weil sich Gefühle in mir breitmachten die ihr nicht gerecht werden und ich mich nach Veränderungen sehnte, die keine sinnvollen Anklang gefunden hätten.
Warum ich einen Garten in Erfurt nie mehr missen möchte
Wir verlegen das Home Office in den Garten, wühlen in den Pausen im Dreck, freuen uns auf Feierabende mit Sonnenuntergangsromantik auf der Terrasse, mindestens so lange, bis die Stadtlichter beginnen zu funkeln. Streuen Blüten und frische Kräuter über unser Mittag. Feiern Midsommar mit eigenen Blumenkränzen, gegrilltem Lachs und Feuerkartoffeln. Feiern den letzten Spätsommerabend gebührend draußen. Stapeln neues Baumaterial, bringen Altes weg. Entfliehen dem Alltagstrott für ein paar Augenblicke, und stärken dennoch unser Erfurt-Gefühl so, so sehr!
Nachhause kommen ist jetzt so viel schöner. Und Stadtspaziergänge so viel intensiver. Dank dem Garten und dem erweiterten Erfurt-Rauskommen, mehr Abwechslung, neue Reize. Nur ein paar Fahrminuten mit Fahrrad, Auto oder Bahn entfernt, bei einem der schönsten ländlichen Fleckchen unweit der Stadt, ziemlich nah und doch wirkt’s fern. Ich freue mich darauf, nach und nach mehr von meinem zweiten Zuhause zu zeigen. Mit Stories über Gartenglück und Frust, ambitionierten Versuchen, Frau und Herr über Landschaftsdesign, Bau und Hütten-Interior zu werden, sich immer wieder neu in die Umgebung verliebend und den ein oder anderen schönen Moment zu zelebrieren, den so ein Kleingarten in Erfurt mit sich bringt.
Wir sind blutige Anfänger, aber haben genug Ausdauer, um hier was richtig Schönes entstehen zu lassen. Tut gut, sich diese Aussage einmal mehr zu verinnerlichen.