Es ist ein angenehmer Herbsttag, eine Spur zu bewölkt, aber immerhin so warm, dass ich die Jeansjacke tragen kann. Ein Freitag. Bewaffnet mit meiner Kamera streife ich durch die Gegend; auf der Suche nach Fotomotiven und Details, die mir bisher noch nicht aufgefallen sind. Bewusst unbewusst treibt es mich in Richtung Fischersand. Ich mag diese Ecke sehr gern und auch wenn ich hier schon x-mal fotografiert habe, glaube ich, doch noch etwas Neues entdecken zu können. Vielleicht eine andere Perspektive, ein anderer Blickwinkel, irgendwas.
Ich stehe an der Stelle, an der die Regierungsstraße die Gera kreuzt und blicke aufs Wasser. Ziehe die Kamera aus der Tasche und beginne, zu fotografieren. Ich gehe in die Knie und bemerke erst da einen Mann, der etwa 20 Meter entfernt am Ufer des Flusses steht. Er hantiert mit einem orangefarbenem Stab herum, neben ihm sitzt ein großer schwarzer Hund in erwartungsvoller Haltung. Immer noch hockend beobachte ich die beiden – und weiß überhaupt nicht so recht warum. So besonders sind sie nun auch nicht.
Doch dann ändert sich die Situation plötzlich. Der Mann hebt seinen Stab in die Höhe – inzwischen weiß ich, dass es ein Hundespielzeug ist – und schleudert den Ball, der daran befestigt ist, meterweit nach vorn; genau in meine Richtung. Der Hund scheint nur darauf gewartet zu haben – und prescht mit einem riesigen Satz in die kalten Fluten der Gera. Mit wenigen kraftvollen und überraschend weiten Sprüngen erreicht er den Ball, der irgendwo unter mir im Wasser treibt.
Da merke ich, wie sehr mich die Situation überrascht. Ein Hund in der Gera – und das Mitte Oktober. Sicherlich nichts Außergewöhnliches und doch so überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte. Ich beginne zu grinsen, weil ich wieder einmal feststelle, dass mich solche Sachen ungemein glücklich machen. Ich richte mich auf und beobachte, wie Mann und Hund ihre Choreografie wiederholen. Dabei entgeht mir nicht, dass auch ich neugierig gemustert werde – für den Hundebesitzer scheint eine Frau mit Kamera ebenso wundersam sein wie für mich eine große schwarze Fellnase in der kalten Gera…
„Woll’n Sie auch mal?“
In dem Moment, in dem ich beschließe, meinen Streifzug fortzusetzen, betreten zwei weitere Darsteller die Bühne unseres kleinen Kammerspiels: Ein junger Vater mit Kleinkind. So wie sie die Brücke betreten, auf der ich stand, schleudert der Mann seinen Ball das dritte Mal und wieder springt der schwarze Hund voller Begeisterung in den Fluss. Auch Vater und Kind sind erstaunt und bleiben stehen. Papa murmelt sogar etwas wie „Hä, was geht’n ab?!“ und ich bin irgendwie beruhigt, dass nicht nur ich so fasziniert von der Szene bin.
Ich biege nach rechts in den Fischersand ein und laufe direkt auf den Mann und seinen Hund zu. Er betrachtet mich interessiert und grinst mich schon von weitem an. Dabei hebt er sein Hundespielzeug hoch und sagt etwas, was ich nicht verstehe. Kurz bevor sich unsere Wege kreuzen, wiederholt er seine Aussage und bestätigt damit meine Vermutung: „Woll’n Sie auch mal?“
Werfen war noch nie mein Ding (und ist es, wie sich herausstellen sollte, immer noch nicht) und eigentlich hatte ich schon genug Zeit vertrödelt. Doch der Wunsch, spontan sein zu wollen, bringt mich dazu, diese doch recht spezielle Einladung anzunehmen und mein Gepäck, bestehend aus Kameratasche und Feels like Erfurt-Beutel behutsam auf der Wiese abzulegen.
„Das ist Maxx – mit zwei X.“, sagt der Mann und meint damit ganz augenscheinlich sein Haustier. Maxx mit zwei X ist scheinbar kein Kind von Traurigkeit und besiegelt unsere noch frische Bekanntschaft mit einem freudigen Beschnuppern und Bespringen. Mein Rock ist nass und dreckig von seinen Pfoten und für eine Millisekunde bereue ich meine Entscheidung. Dann aber lasse ich mich auf die Situation ein. Der Mann ist der Meinung, Maxx würde mich sehr mögen und obwohl meine Strumpfhose jetzt am Hinterteil ziemlich nass ist, mag ich ihn auch ein kleines bisschen.
Ich werde in die Funktionsweise des Spielzeugs eingewiesen, bringe mich in Position – und versage kläglich. Der Ball plumpst keine fünf Meter vor uns ins Wasser und ich sehe regelrecht die Enttäuschung in Maxx‘ Gesicht. Okay, noch ein Versuch. Der Mann gibt mir gut gemeinte Ratschläge, ich stammele etwas vonwegen „Kann echt nicht werfen“, Maxx hüpft schon wieder vergnügt durchs Wasser, ich bewege den Arm nach hinten und schwungvoll wieder nach vorn. Diesmal fliegt der Ball ganze null Meter weit. Er steckt nämlich immer noch in seiner Halterung.
…und plötzlich sind alle zufrieden
Es ist offiziell: Ich bin zu doof (oder zu schwächlich), um ein Hundespielzeug zu bedienen. Etwas verlegen blicke ich umher und sehe dabei, dass der junge Vater mit seinem Kind immer noch auf der Regierungsstraße steht. Richtig geil, meine peinliche Vorstellung wird auch noch beobachtet. „Na gut, aller Dinge sind drei.“, sage ich gespielt optimistisch zu dem Mann und nehme den Stab diesmal in beide Hände. Doppelte Schleuderpower und so. Ich hole aus und Gott sei Dank löst sich der Ball dieses Mal wieder aus der Halterung. Weit kommt er zwar nicht, aber ich habe das Gefühl, dass alle zufrieden sind.
Maxx, weil er einen Ball in der Gera jagen darf.
Der Mann, weil er jemanden in die hohe Kunst des „Ball-in-Wasser-Schleuderns“ einführen konnte.
Vater und Kind, weil sie die Szene von außen beobachteten.
Und ich, weil ich einfach so mit ein bisschen Spontanität in diese sonderbare Situation geraten bin.
Ich verabschiede mich nach dem dritten kläglichen Versuch höflich von dem Mann und Maxx mit zwei X und setze meine Fototour am Fischersand fort. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Liebste Grüße,
Jessi
Fotos: Jessika Fichtel | Feels like Erfurt
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